Mittwoch, 31. Oktober 2012

01. November 1755 – O grässliches Schauspiel! Welch Entsetzen!



Als am frühen Morgen des 01. November 1755, dem Allerheiligentag (port.: Dia de todos os Santos), ein verheerendes Erdbeben (port.: terremoto) die Stadt Lissabon in Trümmern legte, war man danach nicht nur in Portugal tief betroffen und schockiert, sondern auch in ganz Europa.
Mehrere zehntausend Menschen, die genaue Zahl ist bis heute unbekannt, starben an diesem Tag durch das große Beben, der darauf folgenden Tsunami, den vielen Nachbeben und den riesigen Flächenbränden.

Viele Naturwissenschaftler, Philosophen, Schriftsteller und Dichter, wie Goethe, Voltaire, Leibniz, Rousseau und Kant, setzten sich damals mit dieser unbeschreiblichen Katastrophe auseinander, die an diesem Tag über Lissabon und Portugal hereingebrochen war.
Aber auch viele Unbekannte brachten damals die Ereignisse dieses Tages zu Papier.

Einer dieser unbekannten Schreiber verfasste im November 1755 ein anonymes Gedicht, das am 06. Dezember 1755 in der Leipziger Zeitung (port.: Jornal de Lípsia) publiziert wurde.
Der damals sehr einflussreiche preußische Schriftsteller und Dramaturg Johann Christoph Gottsched meinte später zu diesem deutschen Text, er stamme wohl von „keiner ungeschickten Feder“.
Einige meinen deshalb heute, dass es wohl Gottsched selber war, der diesen Mehrzeiler einst schrieb.
Wie dem auch sei, dieses Gedicht ist, wie ich meine, ein schriftliches Zeugnis der Geschehnisse dieses denkwürdigen Tages.

Das Gedicht lautet wie folgt:

Das prächtige Lissabon hieß lange schön und groß;
Doch eine halbe Viertelstunde
Verwüstet solches bis zum Grunde
Aus seiner Kluft reißt sich der Gott der Winde los.
Gebäude, welche noch so feste,
Die schönsten Klöster und Palläste
Erschüttert bloß ein Hauch, und schmeißt dieselben um.
Vulcan stimmt da mit ihm zusammen,
Und es verzehren seine Flammen
Was Aeolus geschont. Man sieht es, und wird stumm.
Man siehts, und alle Glieder zittern:
Und wie bey schweren Ungewittern
Der bange Vogel scheu in Feldern sich verkriecht;
So flüchten König und Vasallen,
Da die Palläste stürzend fallen,
Erstaunt aufs freye Feld, den Vögeln gleich verscheucht.
O grässliches Schauspiel! Welch Entsetzen!
Wer denkt hier an ein Ergötzen?
Wer lebt nicht und denkt, daß ihn auch treffen kann,
Was dort in Portugal geschehen?
Ein solches Elend anzusehen
Greift auch die härtesten und kältesten Seelen an.

(Anonym, November 1755)

Nur einige Teile der Altstadt Alfama und der damalige Vorort Belém überstanden das Beben.
Will man wissen, wie die Stadt Lissabon vor dem 01. November 1755 ausgesehen hat, dann muss man sich ins Lissabonner Museu da Cidade (dt.: Stadtmuseum) im Stadtteil Campo Grande begeben.
Dort sind einpaar wunderschöne Drucke aus dem 18. Jahrhundert ausgestellt, die auf eindrucksvolle Weise die Stadt so zeigen, wie wir sie leider niemals wieder sehen werden.

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